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„Es war ein völlig irres Spiel“

Interview mit dem ehemaligen Mainzer Sven Demandt über das 97er Aufstiegsfinale.

Wann immer die Wölfe sich mit Mainz 05 duellieren: Die Erinnerungen an den 11. Juni 1997 schwingen unweigerlich mit – ganz besonders in der Jubiläumssaison. Wie aber hat der Gegner das dramatische Endspiel damals erlebt? Sven Demandt (51), seinerzeit Stürmer im Trikot der Mainzer und bis heute eine Ikone des Vereins, lief in den Wochen bis zum Saisonfinish zur Höchstform auf. Beim berühmten 5:4 schoss er das erste sowie das letzte der neun Tore und musste trotzdem am Ende seine Hoffnung auf ein Comeback in der Bundesliga begraben. Welche Erinnerungen der verhinderte Aufstiegsheld an den Elsterweg hat, wie nah man sich in Mainz schon am Oberhaus wähnte und wie man anschließend zu Hause die Unterlegenen empfing, das verriet der heutige Chefcoach des Regionalligisten Rot-Weiss Essen im Interview.

Sven Demandt, der VfL Wolfsburg empfängt den FSV Mainz 05: Sie ahnen sicher, warum wir mit Ihnen über diese Paarung sprechen wollen…

Sven Demandt: Ja, eine gewisse Vermutung habe ich logischerweise. Damals, es ist schon etwas länger her, ist der VfL Wolfsburg im letzten Spiel mit einem Sieg gegen Mainz in die Bundesliga aufgestiegen. Ich war auf dem Platz mit dabei. Wie könnte ich das vergessen.

Das Aufstiegsendspiel vom 11. Juni 1997 gilt in der VfL-Geschichte als Meilenstein. Unter welchem Stichwort haben Sie diese Partie gespeichert?

Demandt: Einen Namen habe ich dem Ganzen nicht gegeben, aber für mich persönlich war diese Erfahrung schon sehr speziell. Ich war damals 32 Jahre alt, hatte bereits lange in der Bundesliga gespielt. Es war meine letzte Gelegenheit, wieder in die erste Liga zu kommen, die ich natürlich sehr gern genutzt hätte. Mainz als Verein war dagegen zum allerersten Mal so nah dran.

Dritter gegen Vierter, der Sieger steigt auf – haben Sie eine solche Brisanz jemals wieder im Fußball erlebt?

Demandt: Gute Frage… wohl eher andersherum, vor allem mit Mainz. Da ging es im letzten Spiel oft um den Klassenerhalt. Aber eine solche Dramatik ist wirklich außergewöhnlich. Wobei unsere Ausgangslage natürlich wesentlich schwieriger war als die der Wolfsburger, weil wir erstens auswärts antreten mussten und uns zweitens ein Unentschieden nicht gereicht hätte. Wir mussten gewinnen.

Mainz hatte genau wie der VfL im Vorjahr lange gegen den Abstieg gespielt. Wie konnte es da zu dieser Konstellation überhaupt kommen?

Demandt: Das kann ich nur aus Mainzer Perspektive beurteilen. Wir waren in der Vorsaison knapp nicht abgestiegen, hatten in der Rückserie aber schon einen richtigen Lauf. Deshalb haben wir durchaus darauf spekuliert, vielleicht weiter oben zu landen oder zumindest nicht wieder in Abstiegsnot zu kommen wie sonst immer. Zur Winterpause waren wir dann Zweiter, fielen danach zwar in ein Loch, konnten uns aber fangen. Dass wir bis zum Schluss um den Aufstieg gespielt haben, kam aber trotzdem unterm Strich recht überraschend.

Als alles auf ein Endspiel zusteuerte, waren Sie gerade in einer Bombenverfassung. Man kann wohl sagen: Sie waren der große Mainzer Hoffnungsträger.

Demandt: Ja, das trifft wohl so zu. Für mich war es wie gesagt die letzte Chance, mich noch mal in der Bundesliga zu zeigen. Vielleicht hat mich das beflügelt. In den Wochen vorher und auch in Wolfsburg habe ich ganz gut getroffen. Leider war das nicht genug.

Wie optimistisch war man im Vorfeld in Mainz, dass man als Bundesligist vom Elsterweg abreisen würde? Der VfL hatte seit anderthalb Jahren nicht mehr zu Hause verloren.

Demandt: Es war uns definitiv klar, dass es verdammt schwierig werden würde. Aber wenn man nur einen Sieg vom großen Ziel entfernt ist, dann ist man automatisch guter Hoffnung, es irgendwie regeln zu können. Wir sind extra ein paar Tage eher nach Wolfsburg gefahren, um uns abzuschotten und Ruhe zu haben. Alles probiert haben wir dann ja auch im Spiel selbst, …

… das für Mainz sehr verheißungsvoll losging: Gleich in der Anfangsphase haben Sie den FSV in Führung gebracht. Wie greifbar war da schon der Aufstieg?

Demandt: Wenn man bei der Ausgangslage als Außenseiter mit 1:0 führt, dann ist der Gedanke an die Bundesliga natürlich sehr konkret. Lange gehalten hat die Führung nur dummerweise nicht. Wolfsburg glich sofort aus und erlebte so ein bisschen die Geburtsstunde Roy Prägers, der in den Jahren danach quasi alles getroffen hat (lacht). Ich kenne den Roy ja ganz gut. Es war einfach ein völlig irres Spiel. Der VfL zog auf 3:1 davon, wir haben mit zehn Mann noch einmal ausgleichen können. Bevor das Pendel dann wieder zurückschlug. Einfach nichts für schwache Nerven!

Auch wenn man es sich denken kann: Wie haben Sie den Moment des Abpfiffs erlebt?

Demandt: Daran möchte man sich gar nicht erinnern. Klar, die Wolfsburger Fans haben den Rasen geflutet, und in unserem Lager war die Enttäuschung gewaltig. Mir persönlich war klar, dass sich das mit der Bundesliga für mich jetzt erledigt hat. Aber ich will darüber nicht jammern: So etwas haben viele andere Sportler auch erlebt. Das gehört zum Fußball einfach dazu. Wir haben in diesem Spiel alles gegeben und mussten uns am Ende nichts vorwerfen.

Auch für Mainz wäre die Bundesliga damals Neuland gewesen. War der Verein dafür reif?

Demandt: Ich denke, dass es sehr schwierig geworden wäre. Mainz war mit seinem heutigen Standort in keiner Weise zu vergleichen. Andererseits wächst man mit seinen Aufgaben. Dass die Leute heiß auf die Bundesliga waren, hat man in jedem Fall gemerkt. In der Innenstadt haben 20.000 Fans das Spiel auf Großbildleinwand geschaut, das war für Mainzer Verhältnisse völlig neu. Ein Aufstieg kommt eigentlich niemals zu früh, das sieht man ja heute an Darmstadt 98. Doch, wir hätten diesen Schritt damals schon ganz gern gewagt.

Wie ist man zu Hause mit dieser dramatischen Erfahrung umgegangen? Wie hat das Umfeld auf die Niederlage reagiert?

Demandt: Das war schon außergewöhnlich. Wir sind die Nacht über noch in Wolfsburg geblieben und am nächsten Morgen zurückgefahren. Logischerweise verspürten wir da wenig Lust, uns noch irgendwo groß blicken zu lassen. Als wir am Mainzer Rathaus ankamen, erwarteten uns dort aber unfassbar viele Leute, um uns zu feiern. Die Menschen haben uns einen sensationellen Empfang bereitet und uns gezeigt, dass wir trotzdem eine super Saison gespielt hatten. So etwas hatte es in Mainz bis dahin nicht gegeben. Das hat uns für vieles entschädigt.

Waren Sie anschließend eigentlich jemals wieder in Wolfsburg?

Demandt: In der Volkswagen Arena bin ich mal gewesen, das schon. Dieses alte Stadion, in dem wir den Aufstieg verpasst haben, habe ich allerdings nie mehr von innen gesehen.