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Luftschiff zum Degerloch

Im vorletzten Auswärtseinsatz der Aufstiegssaison erlebte Grün-Weiß einen Durchbruch nach oben: Erstmals in der Klubgeschichte ging es per Flugzeug zu einem Ligaspiel.

Ein starkes Kollektiv, die richtige Mentalität und eine Abwehr aus Beton waren die wesentlichen Erfolgsfaktoren für den Coup von 1997. Sowie auch sehr gutes Sitzfleisch, denn die oft stundenlangen Auswärtsreisen bewältigte der Wölfe-Tross selbst zu Amtszeiten als Zweitliga-Spitzenverein noch mit dem Bus. Mit einer Ausnahme: Als die Bundesliga immer greifbarer wurde sowie die Erholungszeiten gleichzeitig kürzer, ließ das VfL-Management die Fünfe einmal gerade sein. Zum Mittwochabend-Spiel bei den Stuttgarter Kickers in der letzten englischen Woche der Saison reisten die Grün-Weißen zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte statt über die Autobahn durch die Luft

Immer nur Bullis

Wenn es um Reisekilometer des VfL Wolfsburg geht, dann kann es einen besseren Ansprechpartner nicht geben. Von 1962 bis 1998 arbeitete Wolfgang Schoenke am Elsterweg als Betreuer. Schon dem damals noch jungen Imre Farkaszinsky hatte er zugearbeitet, es folgten 17 weitere Trainer bis zu seinem letzten VfL-Übungsleiter Wolfgang Wolf. Unzählbar, wie oft er die Trikots der Wölfe-Spieler in dieser Zeitspanne ein- und wieder ausgepackt hat. „Ich war tatsächlich bei jedem Heim- und Auswärtsspiel dabei. Wann genau wir erstmals geflogen sind, ist schwer zu rekonstruieren. Wenn ich an unsere Reisen denke, dann habe ich fast nur die Fahrten in den Bullis vor Augen“, so Schoenke.

Sensibler Moment der Saison

Doch es gab ihn natürlich, den Moment, als auf der Geschäftsstelle der Schalter zur modernen Mobilität umgelegt wurde. Und erreichen sollten die Wölfe diese Phase aus gutem Grund auf der Zielgeraden der Aufstiegssaison. „In unserem schmalen Budget sind die Reisen ein großer Kostenfaktor gewesen. Deshalb war es selbstverständlich, dass wir auch die weiter entfernten Stadien mit dem Bus ansteuerten“, erklärt Peter Pander. „Aber in diesem Fall hatten wir kaum eine Wahl.“ Der damalige Manager spricht über den Mai 1997. Vier Spiele standen zu dieser Zeit für die Wölfe noch aus, die sich mit zwei Nullnummern am Stück (in Meppen und gegen Unterhaching) zuletzt gerade so hatten über dem Strich halten könnten. Als Dritter rangierten sie punktgleich mit dem Vierten Mainz 05 – bei nur einem mehr geschossenen Tor. Schon zwei Zähler dahinter folgten die Kickers. Genau dort, im uralten Waldau-Stadion in Stuttgart-Degerloch, trat der VfL in dieser heißen Phase nun an: an einem Mittwochabend um 18.30 Uhr.

Keine einfache Entscheidung

„Es ging um unheimlich viel. Wäre es ein Samstag gewesen, hätten wir wahrscheinlich den Bus genommen“, sagt Pander. Da drei Tage später aber bereits Carl Zeiss Jena auf der Matte stand, kratzten die Verantwortlichen die letzten Taler zusammen: Erstmals in knapp 52 Jahren Vereinshistorie checkte der VfL-Tross für ein Ligaspiel am Flugschalter ein und sparte auf Hin- und Rückweg somit wertvolle zehn Stunden ein. Noch im Schwabenland sollte nach einer weiteren Übernachtung am Folgetag die Vorbereitung auf Jena beginnen. „Heute klingt es banal. Aber damals ist das für uns eine sehr große Nummer gewesen. Der Aufstieg war zum Greifen nah. Da wollten wir keinesfalls riskieren, durch eine zu kurze Regeneration noch zu stolpern. Man sieht, wir haben an dieser Stelle wirklich alles getan, um es am Ende wirklich zu schaffen“, so Pander. 

Betreuer am Steuer

An einen solchen Punkt mal zu kommen, kam Schoenke am Ende seiner langen Laufbahn als Zeugwart wie ein Quantensprung vor. Anfangs noch mit seinem Betreuer-Kollegen Franz Harmeling, später meist gemeinsam mit Masseur Lothar Bartsch chauffierte er jahrzehntelang die Wölfe höchstpersönlich über den Asphalt. „Zwei kleine Bullis hatten wir, gestellt von der Volkswagen Sportförderung. In jeden passten genau acht Mann. Wenn wir damit mal nicht hinkamen, weil der Trainer mehr Spieler mitnehmen wollte, fuhr irgendjemand noch privat hinterher.“ Selbst ein großer Mannschaftsbus sei diesem Modell gegenüber zu teuer gewesen, sagt Schoenke. Ein weiterer Unterschied zur Gegenwart: „Es ging grundsätzlich immer direkt nach dem Spiel zurück. Es war ganz normal, dass wir mitten in der Nacht völlig erledigt in Wolfsburg angekommen sind.“  

Signal zum Aufbruch

Diese Zeiten waren mit diesem 31. Spieltag der Zweitliga-Saison 1996/1997 grundsätzlich vorbei. „In der Bundesliga wurde es danach sehr schnell normal, dass man für die weiteren Strecken das Flugzeug genommen hat“, sagt Pander. „Zumindest haben wir wahrscheinlich nie wieder so lange hin- und her überlegt.“ Bekanntlich zahlte sich der Großeinsatz hinterher aus. Der VfL verteidigte in Stuttgart Tabellenplatz drei, fidelte Jena drei Tage später mit 4:1 weg und war anschließend nicht mehr zu halten. In der Partie selbst war ein Unterschied indes noch nicht zu erkennen, denn die Wölfe blieben sich treu: Auch im dritten Pflichtspiel binnen zwölf Tagen spielten die Grün-Weißen – wie schon bei ihren zwei vorherigen Gastauftritten am Degerloch – 0:0.