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Bescheidener Anfang

Zum Trainingsstart im Sommer 1996 war von Aufbruchsstimmung am Elsterweg noch wenig zu spüren.

Magische Momente gibt es in der Historie des VfL Wolfsburg inzwischen etliche. Möchte man die Erfolgsgeschichte der Wölfe aber auf ein Ereignis reduzieren, dann landet man immer wieder beim 11. Juni 1997. Der Einzug in die Bundesliga – 38 Jahre nach dem Abstieg aus der Oberliga Nord – ist wohl von allen grün-weißen Meilensteinen der bedeutendste, weil er in Fußball-Wolfsburg die Neuzeit einläutete und damit die Trennlinie zwischen gestern und heute markiert. Da sich der Durchbruch ins Oberhaus bald zum 20. Mal jährt, soll die bahnbrechende Spielzeit 1996/1997 noch einmal nacherzählt werden. In 17 Geschichten aus jener VfL-Zweitligasaison, von der niemand ahnte, dass sie für so lange Zeit die letzte sein würde.

Gänsehaut und Männertränen, ein von jubelnden Menschen gefluteter Rasen – dass sich elf Monate später in Wolfsburg solche Szenen abspielen würden, daran war im Sommer 1996 überhaupt nicht zu denken. Kaum 50 Zaungäste waren zum Trainingsstart der Grün-Weißen am Elsterweg gekommen. Ein Jahr zuvor waren es noch über 300 gewesen. Es war eine recht triste Szenerie an diesem 4. Juli, zumal weit mehr als der Schweiß während dieser ersten Einheit der Regen floss. Ein kurzes Aufwärmen, ein lockeres Trainingsspiel, Laufübungen und etwas Hürdenspringen: Dabei ließ es Willi Reimann fürs Erste bewenden. Von Aufstiegseuphorie war rund ums VfL-Stadion wenig zu spüren. Kein Wunder, da die Wölfe im Vorjahr lange Zeit sogar gegen den Abstieg gespielt hatten.

Niemand denkt an den Aufstieg

Rückblick: Nach dem Zweitligaaufstieg 1992 hatten sich die VfL-Fußballer beinahe selbst überholt. Binnen kurzer Zeit reiften sie im Unterhaus zum Spitzenteam, zogen 1995 ins Pokalendspiel und stiegen in derselben Saison um ein Haar schon auf. Nur fünf Treffer fehlten der Elf von Eckhard Krautzun bei Punktgleichheit mit Fortuna Düsseldorf in der Endabrechnung zur Sensation. Es wäre ein Aufstieg fast aus Versehen gewesen. Als man ein Jahr darauf unter Gerd Roggensack die Bundesliga dann wirklich angreifen wollte, funktionierte allerdings nichts mehr. Nach einer fürchterlichen Halbserie überwinterte Grün-Weiß auf einem Abstiegsplatz, ehe Willi Reimann übernahm und die Saison mit 14 ungeschlagenen Spielen noch versöhnlich ausklingen ließ. „Das gab für die folgende Spielzeit natürlich einen Schub. Trotzdem war der Aufstieg in dieser Phase keinerlei Thema, im ersten Schritt war statt dessen Konsolidierung gefragt“, sagt Wolfgang Hotze, der im Sommer 1996 gerade als neuer Finanzchef in den Verein kam und die erste Trainingseinheit der Aufstiegssaison sogar persönlich in Augenschein nahm.

Denn mit ins Pflichtspieljahr schleppte der VfL auch einigen internen Zwist. Die Streitigkeiten zwischen bisherigem Fußballvorstand und Aufsichtsrat waren der Öffentlichkeit nicht verborgen geblieben und führten nicht nur zum Stühlerücken im Vorstand, sondern auch zu einer kuriosen Idee: Der neue Aufsichtsrat, so die Anregung des Vorsitzenden Werner Schlimme, solle dem Team gleich beim ersten Mannschaftstraining seine Aufwartung machen. „Das sollte nach außen ein Zeichen der Geschlossenheit setzen, deswegen sind wir dem Vorschlag gefolgt und haben uns zu den Kiebitzen in den Regen gestellt“, erinnert sich Hotze, der genau wie VfL-Altspieler Günter Otto neu ins Gremium rückte. Insgesamt acht Vertreter aus Präsidium, Vorstand und Aufsichtsrat – neben Hotze und Schlimme noch Manfred Aschenbrenner, Ortwin Witzel, Bernd Sudholt, Wilhelm Ahrens, Werner Harmeling und Ekkehard Wesner – fanden sich am Trainingsplatz ein und bildeten inmitten der mageren Kulisse ein hochrangiges Publikum.

Deering einziger Neuzugang

Und die Mannschaft? Die war zum Startschuss in die Sommervorbereitung noch in keiner Weise komplett. Siggi Reich hatte seine große VfL-Karriere beendet, ein Nachfolger war noch nicht in Sicht. Auch der Abgang Frank Lieberams schien noch nicht kompensiert. Hinzu kam, dass Mittelfeld-Lenker Michael Spies infolge einer beidseitigen Leisten-OP noch geraume Zeit ausfiel und Jann Jensen nach einjähriger Pause erst wieder herangeführt werden musste. Einziger Neuzugang war bislang der US-Amerikaner Chad Deering. Jens Keller, in der Vorsaison von den Münchner Löwen ausgeliehen, trainierte zwar auf Verdacht bereits mit, war aber noch nicht fest verpflichtet. So wusste man nicht recht, was von diesem Team zu halten war, das sich nach dem Fast-Abstieg zwar wieder gefangen hatte, personell seitdem aber eher noch geschwächt als gestärkt schien. Exemplarisch die Reaktion eines kleinen Jungen, der bei der Autogrammjagd am Trainingsplatz bedröppelt auf sein Poster aus der Vorsaison blickte. „Da hat sich ja fast gar nichts geändert.“