Wie unverhofft alles kam, dafür ist sein allererster VfL-Arbeitsvertrag ein sehr anschauliches Zeugnis. „Es stand ausdrücklich drin, dass ich nur für die zweite Liga eingestellt würde. Andernfalls sollte die Zusammenarbeit enden“, berichtet Manfred Kroß, der damals selbst, wie er offen zugibt, eher noch Phantasien nach unten als nach oben entwickelte. „Gedacht war der Vermerk eindeutig als Absicherung für einen möglichen Abstieg. Das große Ziel war es eigentlich, in der Liga zu bleiben. Niemand kam auf die Idee, dass wir stattdessen aufsteigen könnten.“
Waschechter Ostfriese
In die Region geführt hatte ihn ein ganz anderer Ballsport. Manfred Kroß kommt aus dem Wasserball. Für Eintracht Braunschweig war er Anfang der 90er in der Bundesliga aktiv, ehe er im dortigen „Ambulanten Reha Centrum“ zu arbeiten begann. Zur Behandlung kamen auch VfL-Spieler wie Peter Kleeschätzky oder Jann Jensen. So entstand der Kontakt zu VfL-Manager Peter Pander, der Kroß als Nachfolger des bisherigen Masseurs Gregor Wormek zu den Grün-Weißen holte. Befristet für eine Saison. „Ich war ohnehin ein Zugezogener und hatte mir keine großen Gedanken gemacht, wie lange ich bleiben würde. Mir gefiel die Aufgabe, außerdem hatte ich Lust auf etwas Neues“, sagt Kroß, geboren in Aurich, dessen persönliche Lebensplanung entsprechend kurzfristig angelegt war. Doch hat er jetzt als einer von ganz wenigen VfL-Mitarbeitern die komplette Zeit im Haus überdauert.
Alle Hände voll zu tun![](/fileadmin/user_upload/09ea846485.jpg)
Sein erster Arbeitstag war also der 4. Juli 1996 – Trainingsauftakt am Elsterweg unter Willi Reimann. „Normalerweise vergisst man solch einen Tag nicht. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, kann ich mich kaum erinnern“, lacht Kroß. Was er auf jeden Fall noch weiß: Der damals 28-Jährige hatte sehr gut zu tun. Nicht nur, weil er mit Michael Spies und Jensen gleich zwei Rekonvaleszenten an die Mannschaft zurückzuführen hatte. Sein Portfolio an Aufgaben war auch ziemlich umfassend. „Eigene Reha-Trainer wie heute gab es noch nicht. Der Mannschaftsarzt kam einmal in der Woche und am Spieltag dazu, ansonsten war ich für die Spieler zuständig. Inzwischen können wir uns aufteilen, aber in den ersten Jahren war ich bei jedem Heim- und Auswärtsspiel dabei.“ Vorbereitende Verbände, Aktivierung der Muskulatur und Auflockerung nach einem Training: Im Alltag ging es darum, die Spieler über pflegende Handgriffe für den nächsten Tag wieder einsatzfähig zu bekommen. „Dabei waren die Einheiten unter Willi Reimann“, hat Kroß noch vor Augen, „meist sehr intensiv.“
Niemals auf Ballhöhe
Handwerklich war das alles für den Ostfriesen kein Neuland. Das Umfeld, in dem er sich bewegte, allerdings schon. Denn mit Fußball hatte Kroß mit Ausnahme seiner Patienten aus diesem Sport bis dahin wenig zu tun. Weder trat er je als Vereinsspieler gegen den Ball, noch hatte er bis dahin überhaupt mal ein Stadion von innen gesehen. „Die Abläufe im Wasserball waren natürlich ganz anders. Insofern war das eine große Umstellung für mich.“ Ohnehin unterscheidet sich die Perspektive, aus der Kroß ein Spiel von der Bank aus verfolgt, sehr von der eines Fans. „Ich würde sogar sagen, sie ist anders als die eines Trainers. Man ist zwar gefesselt und voll dabei wie jeder andere auch, hat aber immer die Dinge im Blick, die abseits passieren, weniger auf Höhe des Balls. Es geht darum, ständig nach Situationen zu schauen, in denen sich eventuell jemand verletzt“, erläutert er. Emotional gepackt hat es Kroß mit Dienstbeginn beim VfL nichtsdestotrotz. Deshalb kann er sich auch noch gut an den besonderen Spirit erinnern, der sich im Aufstiegsjahr verselbständigte. „Irgendwann hat man gespürt, dass aus den verschiedenen Fraktionen eine Mannschaft wird, die zusammen etwas erreichen will. Das war nicht planbar, aber hat einfach perfekt funktioniert.“
Präger als Premieren-Patient
Genau 220 Spieler haben für den VfL Wolfsburg bislang in der Bundesliga gespielt. Was sie alle gemeinsam haben? Dass jeder von ihnen – zuzüglich der übrigen Profis aus der Aufstiegssaison – durch seine großen Wasserballhände gegangen ist. „Stimmt, es sind definitiv alle gewesen. Irgendwann war jeder mal dran“, lacht Kroß, der sich sogar noch erinnert, wer als allererster auf seiner Pritsche lag, nämlich Roy Präger. Schräge Geschichten hat er in den zwei Dekaden selbstverständlich viele erlebt. Etwa die von einem Spieler, der mit fast abgeschnittenem Daumen von einem Friseurbesuch kam, während sich ein anderer beim Aufstellen seiner Umzugskartons den Mittelfuß brach. Oder natürlich die berühmte Gesichtsverletzung durch eine Autoantenne, die es sogar bundesweit in die Schlagzeilen schaffte. Auch wenn sich sein Kernhandwerk bis heute gar nicht verändert hat, kann Manfred Kroß eines deshalb mit Sicherheit sagen: „Diese Arbeit ist immer wieder überraschend und hochinteressant. Kein Tag in den 20 Jahren war bislang wie der andere.“