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Ohne Knipser nach oben

Einen Nachfolger für Siggi Reich suchte Grün-Weiß im Aufstiegsjahr vergeblich. Letztlich schloss sich die Lücke von ganz allein.

Der Mann hatte sich richtig in Rage geschrieben. „Es kann nicht angehen, dass die Mannschaft noch immer nicht komplett ist!“, polterte Michael U. aus Wolfsburg-Klieversberg in einem Leserbrief. „Herr Pander hat es in vier Monaten nicht geschafft, einen Stürmer mit Torinstinkt zu holen!“ Rolf. J. aus Wolfsburg-Laagberg war da ganz bei ihm: „Der zahlende Kunde muss einer Personalpolitik zusehen, die dieses Wort nicht verdient hat“, ereiferte er sich in der WAZ. „Warum der Manager seine Energien bis jetzt nur darauf verwendet hat, Abwehrspieler zu verpflichten, wo jeder Laie die vorhandenen Probleme im Angriff erkennt, wird wohl für immer sein Geheimnis bleiben.

„Wo bleibt der neue Stürmer? Das war das große Thema in den ersten Wochen der Spielzeit 1996/1997 rund um den Elsterweg. In der Vorsaison hatten die Wölfe lange im Abstiegskampf gesteckt, und da hatte immerhin noch ein Siggi Reich mitgespielt – so die Rechnung vieler Fans. Nun hatte das Vereinsidol seine Karriere beendet. Der angekündigte Nachfolger allerdings war nicht in Sicht. „Es ist klar, dass wir die Lücke schließen wollen und müssen. Wir planen mit vier Stürmern – und die sollen es ohne Reich auch sein“, sagte Peter Pander am 4. Juni. Doch die Suche gestaltete sich weit schwieriger als gedacht. Als der Manager weder zum Auftakt der Vorbereitung noch zum Saisonstart Vollzug melden konnte, brachte ihm das nicht nur in der Öffentlichkeit einigen Gegenwind ein. Auch der Cheftrainer wurde allmählich nervös. „Ich kann allen Verantwortlichen nur Mut machen“, moserte Willi Reimann, „zu investieren und auch ein kalkuliertes Risiko einzugehen.“

Testkandidaten fallen reihenweise durch

Gleich mehrere Schwierigkeiten machten Pander bei der Fahndung zu schaffen. „Es fing schon damit an, dass wir kein Geld hatten. Dadurch schieden viele Kandidaten von vorneherein aus“, sagt er heute. Hinzu kam, man muss es so deutlich sagen, dass der VfL Wolfsburg anno 1996 als Adresse für versierte Torjäger nicht unbedingt sexy klang. „Nach der schwachen Vorsaison wusste keiner, wohin die Reise geht. Niemand kam auf die Idee, dass wir aufsteigen könnten. Am Ende mussten wir deswegen froh sein, überhaupt jemanden zu bekommen“, erinnert sich Pander, der sich zusätzlichen Unmut einhandelte, als er statt des ersehnten Knipsers mit Zoran Tomcic kurzfristig einen weiteren Verteidiger holte. Bei der Auftaktniederlage bei Fortuna Köln (0:2) stand dieser direkt in der Startelf. Unverständnis am Tag darauf in der WAZ: „Schon in der Vorbereitung hatte sich der VfL einigermaßen defensivstark präsentiert, derweil das größte Manko noch immer auf Behebung wartet: Im Spiel nach vorn ging auch gestern so gut wie nichts.“

Sturmerprobte Fußballspieler waren im grün-weißen Kader natürlich vorhanden – nur eben nicht viele. Mit Stefan Meißner (23) und Piotr Tyszkiewicz (25) gab es gerade zwei echte Spitzen plus Sven Ratke (24), den Pander etwas wohlwollend in eine der vier Planstellen einrechnete, der aber streng genommen ein offensiver Mittelfeldspieler war und sich obendrein während der kompletten Saison mit Verletzungen herumschlug. Ähnliches galt für Michael Spies. Ihm war die Rolle als Denker und Lenker zugedacht, nur fiel der Spielmacher nach doppelter Leisten-OP erst einmal aus. Und auch Roy Präger war eigentlich kein Stürmer, sondern eher ein Mann für die Reihe dahinter. Der spätere Aufstiegsheld wurde erst im Laufe der Saison von Reimann umfunktioniert. Keine einfache Aufgabe für den Cheftrainer also, der nicht gerade aus dem Vollen schöpfte. „Willi Reimann musste sehr viel improvisieren, der Kader war wirklich auf Kante genäht. Wir waren sehr darauf angewiesen, dass sich niemand ernsthaft verletzte“, so Pander. Nur 22 Spieler inklusive der beiden Torhüter umfasste das grün-weiße Aufgebot. Somit schien es durchaus relevant, dass der über Monate vakante letzte Posten im Sturm noch besetzt werden konnte.

Zusammenhalt als Aufstiegsgarant

Abhilfe schaffen sollte das klassische Probetraining. Ligaerprobte Vollstrecker waren nicht zu bekommen, deshalb schaute man sich teils weit gereiste Kandidaten über längere Zeiträume am Elsterweg an. Erster Testspieler war Krassi Vladimirov, 22-jähriger Angreifer von Levski Kjustendil. Gleich zehn Tage sollte sich der Mann vom bulgarischen Erstligisten in Wolfsburg präsentieren, konnte sich aber ebenso wenig empfehlen wie der Kroate Frane Amisic, der in den Sommer-Testspielen gegen Vejle BK (0:1), Union Berlin (0:1) und Slavia Prag (3:2) mitmischen durfte. Mit der Bilanz von null Toren und geringer Bindung zum übrigen Team reiste er ohne Arbeitspapier wieder ab. Krysztof Bociek (24), der noch nach Saisonstart vorspielte, überzeugte ebenfalls nicht. „Wir haben viel probiert, so richtig gepasst hat allerdings niemand“, blickt Pander zurück, was wohl auch jenen Stürmer mit einschließt, den er letztendlich holte. Denn auch der Bulgare Petar Mihtarski, nach langer Hängepartie in den letzten Augusttagen unter Vertrag genommen, erfüllte die Erwartungen kaum. Der WM-Teilnehmer 1994 kam schließlich auf 17 Saisoneinsätze und kein einziges Tor.

So überraschend, unerwartet und sensationell der Durchbruch ins Oberhaus also gelang – er war zusätzlich bemerkenswert, weil die Wölfe keinen klassischen Goalgetter hatten, der alles kurz und klein geschossen hätte. Ganz im Gegenteil: Von allen Bundesliga-Aufsteigern der 90er-Jahre kam der VfL mit den wenigsten Saisonsiegen aus (14), kein anderes Team in dieser Dekade kam auf noch mehr Remis (16). Tyszkiewicz schloss mit neun Treffern vor Präger (acht) als bester Saisonschütze ab. Garant des Erfolgs war insofern die Defensive und noch mehr, wie Pander betont, das bärenstarke Kollektiv. „Holger Ballwanz, Detlev Dammeier oder Roy Präger – das waren echte Typen, die alle anderen mitgezogen und den Unterschied ausgemacht haben“, schwärmt der 65-Jährige. So sollten sich viele Fans am Ende im VfL Wolfsburg täuschen, auch wenn manch einer sogar unfreiwillig Recht behielt. „Bei den wenigen namhaften Verstärkungen“, schrieb Egbert M. aus Lehre an eine Zeitung, „spielt der VfL wahrscheinlich eh seine letzte Saison in der zweiten Liga.“