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Poker, Kniffel und Skat

Ob in Mannschaftsbus, Trainingslager oder Kabine: In der Aufstiegssaison wurde jede Minute für heiße Wettkämpfe genutzt.

Unterhaching war der Höhepunkt. Auch die längste Auswärtsreise der Spielzeit 1996/1997 bewältigten die Wölfe traditionell mit dem Bus. Am Sonntag startete der VfL-Tross in Wolfsburg, am Montagabend – direkt nach dem DSF-Live-Spiel – ging es zurück. Mit an Bord befand sich auch diesmal das wichtigste Utensil der Aufstiegssaison. „Acht Stunden am Stück haben wir gekniffelt wie die Besessenen. Als wir am Elsterweg ankamen, hätten wir sogar noch weitergemacht, wenn man uns nicht rausgeschmissen hätte“, erinnert sich Roy Präger. Die VfL-Ikone darf als Kopf einer grün-weißen Bande gelten, die über Jahre an den Tischen der Hinterbänke ihr Unwesen trieb. Am heftigsten gekniffelt wurde in der sehr reiseintensiven letzten VfL-Zweitligasaison

Gutes Sitzfleisch gefragt

Peter Kleeschätzky und Roy Präger kniffeln im Flugzeug.Streng genommen waren es nicht nur die Würfler, die ihren weiter vorn an den Fensterscheiben dösenden Mitspielern den Schlaf raubten. „Es gab zwei Lager. Die eine Fraktion hat gekniffelt, die andere gepokert“, verrät Holger Ballwanz und lacht. „Man muss schon sagen, dass wir kleine Zocker waren. Wir haben uns früh im Bus die Plätze mit den Tischen gesichert und dann meist die komplette Fahrt durchgespielt.“ Kaiserslautern, Mannheim, Frankfurt, Mainz – allein die Auswärtsfahrten Richtung Südwesten forderten den Wölfen manche vielstündige Ochsentour ab. Nicht nur beachtliches Durchhaltevermögen, sondern auch besonderen Ehrgeiz zeigten die Mitstreiter am Filzbrett, die neben Präger und Ballwanz meist Stefan Meißner, Jens Keller, Mathias Stammann, Michael Spies, Detlev Dammeier und Peter Kleeschätzky hießen. Letzterer wusste sich dabei einen ganz speziellen Ruf zu erspielen.

Schuld war Jens Keller

Peter Kleeschätzky kniffelt auch Jahre später noch in den Räumen des VfL Wolfsburg.„Man hat mich tatsächlich ‚Glücks-Gucci‘ genannt“, sagt Kleeschätzky, der sich den zweiten Teil seines Spitznamens schon Jahre vorher eingehandelt hatte – aufgrund eines modischen Fehlgriffs, den er bis heute glaubhaft auf eine Rot-Grün-Sehschwäche schiebt. Wie es mit dem Kniffel-Fieber anfing, das weiß der 46-Jährige noch genau. „Jens Keller hatte es von 1860 München mitgebracht. Wir haben es ausprobiert, sofort Spaß daran gefunden und kamen davon nicht mehr los.“ Kleeschätzky, der einzige VfLer in der Vereinsgeschichte, der in den drei obersten Ligen für die Grün-Weißen am Ball war, entwickelte sich zur zentralen Figur. Er war es, der Brett und Würfel transportierte und irgendwann gar eigene Excel-Listen entwarf. Von allen, die dem Fieber erlegen waren, traf es ihn zudem wohl am schlimmsten. Auch nach der Karriere traf er sich mit manchen Kollegen in der Kneipe zum Kniffeln, noch heute sogar würfelt er mitunter mit Familie und Freunden. Dass der Kosename seinerzeit Berechtigung hatte, streitet er nicht einmal ab. „Ich erinnere mich an das Auswärtsspiel in Berlin, da habe ich am Vortag im Hotel einen Kniffel mit Ansage gewürfelt – Roy ist daraufhin in die Luft gegangen“, lacht Kleeschätzky. „Doch, ich muss schon zugeben, dass es manchmal ganz gut lief.“

Letzter Wurf, dann schnell auf den Platz

Dass zu Zeiten, als Smartphones noch nicht existierten und die Musik noch aus dem Walkman kam, Karten- und Gesellschaftsspiele unter Fußballern angesagt waren, ist nicht neu. Mit vorherigen Mitspielern hatte Kleeschätzky immer am Kartentisch gesessen. Auch Chefcoach Willi Reimann war einer gepflegten Skatrunde zum Feierabend mit Co-Trainer Dietmar Demuth, Betreuer Wolfgang Schoenke oder auch Vize-Präsident Bernd Sudholt durchaus zugetan. Das Besondere an den Kniffel-Arien der Aufstiegssaison war allerdings, dass sie sich keineswegs auf Bus, Hotel und Flugzeug beschränkten. Denn auf der Jagd nach Viererpasch, Großer Straße und Full House machten die VfL-Profis auch vor dem Allerheiligsten nicht Halt. „Manchmal haben wir noch vor dem Training in der Kabine gespielt“, gesteht Präger. „Ein Wurf noch, ein Wurf noch – bis zur letzten Minute haben wir es ausgereizt, bis es dann im Sprint raus auf den Platz ging. Und nach der Einheit ging es weiter.“

Faktor für den Zusammenhalt

Trainer Willi Reimann spielt Skat.Das Kniffeln in der Kabine wurde dem Cheftrainer irgendwann zwar zu bunt. Trotzdem blieben Würfel, Filzbrett und Knobelblock noch eine ganze Weile treue grün-weiße Begleiter. Noch weit bis in die Bundesligazeit, so erinnern sich Ballwanz und Präger, setzte sich der Spaß auf den Rücksitzen fort. Weil dort mitunter auch mehr als nur Karten und Würfel auf den Tisch kamen, bescheinigt der VfL-Stürmer der Leidenschaft sogar eine besondere Funktion. „Oft haben wir dabei das Spiel, von dem wir kamen, intensiv analysiert. Da hat man sich auch schon mal die Meinung gegeigt. Ich würde deshalb sagen, dass unsere Kniffel-Runden gut fürs Mannschaftsklima waren“, so Präger. In Sachen Aufarbeitung war es nach der Unterhaching-Tour mit acht Stunden würfeln allerdings nicht getan. Denn die 0:1-Niederlage Anfang November 1996 wühlte Willi Reimann noch auf der Rückfahrt so auf, dass er den letzten Wurf diesmal sich selbst vorbehielt: Um 5 Uhr morgens am Elsterweg angekommen, setzte der Wölfe-Coach noch an Ort und Stelle ein Straftraining an.