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Gulaschkanone am Klapptisch

Mitreisenden Fans forderten die Spielorte und –termine der Aufstiegssaison manche Ochsentour ab. Einer war trotzdem bei jedem VfL-Spiel dabei – auch auswärts.

Die Vorzüge seines Volkswagen Jetta wusste Lothar Schukowski nie wieder so zu schätzen wie damals. Ein Gelage biblischen Ausmaßes muss es gewesen sein, das sich vom 11. bis 13. Juni 1997 im Kleingartenverein Wellekamp zutrug. Erinnern kann sich der heutige VfL-Fanbeauftragte nicht mehr an alles, wohl aber an seine Lösung für das Schlafplatzproblem. „Ich habe die Sitze nach hinten gestellt, das Schiebedach aufgedrückt und beide Nächte im Auto gepennt. Das ging besser, als es jetzt erst mal klingt“, schmunzelt er. Die Feierlichkeiten zum Bundesliga-Einzug haben viele Menschen in Wolfsburg bis heute nicht vergessen. Wie vermutlich kein anderer kennt Schukowski aber auch den Weg dorthin, denn er war bei sämtlichen 36 Pflichtspielen der Aufstiegssaison dabei.

Früher selbst für die Wölfe aktiv

Mit Pelé fing alles an. Das Gastspiel der brasilianischen Superstars vom FC Santos, von Volkswagen im Juni 1961 zur Einweihung der neuen Tribüne an den Elsterweg gelotst, ließ sich sein Vater nicht entgehen und nahm den neunjährigen Lothar mit ins VfL-Stadion. „Das war mein erster Kontakt mit dem VfL, im Grunde kam ich seitdem nicht mehr los.“ Noch in den 60ern fuhr Schukowski zu Wölfe-Spielen in der Umgebung, Torfabrik Wilfried Kemmer wurde bald sein großes Idol. In der grün-weißen Jugend trat Schukowski auch selbst gegen den Ball, acht Jahre lang bis rauf in die VfL-A-Junioren. Noch mehr Freizeit aber verbrachte er auf Autobahnen, am Radio und auf den Tribünen. Mit Aktionen wie der größten Fahne, die im VfL-Fanblock wehte – mühsam mit einem Kumpel zusammengenäht – machte er sich in der Szene einen Namen. Sich irgendwann mit Gleichgesinnten zu organisieren, war da nur logisch. Gemeinsam mit neun Freunden rief er 1992 den Fanclub „Schlemmerbrüder“ ins Leben.

Eigener Korn fürs große Endspiel

Ein Fan des VfL Wolfsburg zeigt ein extra angefertigtes Fan Tshirt.Der alte Imbiss in der Wolfsburger City, der sie zu dem Namen inspirierte, existiert schon lange nicht mehr. Die Gemeinschaft aber – wenn auch längst nicht mehr in der originalen Konstellation – hat überlebt, die „Schlemmerbrüder“ sind heute der älteste offizielle VfL-Fanclub. Und sie haben Orte gesehen, die auf den grün-weißen Reiserouten fast vergessen sind. „Remscheid, Homburg, Wuppertal – seit dem Zweitligaaufstieg haben wir so gut wie jedes Spiel mitgenommen. Erst mit kleinen Bullis, nach einem Jahr haben wir dann schon einen großen Bus vollbekommen.“ Schukowski war unter den Mitgliedern der Denker und Lenker, die Organisation der oft umständlichen Touren fiel in seinen Bereich. Zur persönlichen Sternstunde wurde das Pokalfinale 1995. „Das war ein ganz großes Ding. Wir haben jede Menge T-Shirts gedruckt, eigenen VfL-Schnaps bestellt – ‚Sülfelder Korn‘ in drei verschieden Farben – und sind mit zehn Bussen nach Berlin gefahren.“ Von den Rücklagen aus dieser Tour zehrte der Fanclub noch in der Aufstiegssaison.

Zur Not einfach Urlaub genommen

Fans des VfL Wolfsburg reisen zum Auswärtsspiel mit Fahnen an.Dass sie auch 1996/1997 jedes Stadion ansteuerten, war für die „Schlemmerbrüder“ längst selbstverständlich. Pioniere blieben sie trotzdem, denn vergleichbare Fanclubs, die wirklich überall hinfuhren, gab es noch nicht. „Die anderen haben sich privat organisiert oder auf unsere Busse verteilt. Der harte Kern aber waren jedes Mal wir“, lächelt der 64-Jährige. Etwa 300 bis 400 VfL-Fans mögen es im Schnitt gewesen sein, die das Team von Willi Reimann durch die zweite Liga begleiteten. Ausnahmslos jedes Spiel mitzunehmen, schien aber logistisch so gut wie unmöglich. Kein Wunder bei solchen Terminen: freitags ins Essen, am Montagabend in Unterhaching, mittwochs bei den Stuttgarter Kickers. Selbst von den hartgesottenen „Schlemmerbrüdern“ musste da immer wieder mal jemand passen. Schukowski aber bekam es hin. „Speziell die Freitage waren schon knifflig, aber irgendwie habe ich es immer geschafft. Mein großes Glück war, dass mein Arbeitgeber unheimlich kooperativ war. Und alles andere habe ich mit Urlaub geregelt.“

Immer Ärger in Meppen

Eine Sammlung historischer Eintrittskarten des VfL Wolfsburg.So hat er also wahrhaftig jedes Spiel mitgenommen: von der Auftaktpleite in Köln bis zum Fabelspiel gegen Mainz. 36 Pflichtspiele, 19 davon auswärts. Dabei fiel neun (!) Mal kein einziges Tor. „Stimmt, in der Aufstiegssaison haben wir ziemlich oft 0:0 gespielt. Aber viel mehr geärgert habe ich mich über das Pokalaus in Cottbus. Das musste nämlich wirklich nicht sein.“ Wenn er mit dem Finger über die Liste der Spielorte fährt, dann sprudeln die Erinnerungen aus Schukowski heraus. An das Auswärtsspiel in Kaiserslautern zum Beispiel, wo es zwar eine empfindliche 0:4-Packung setzte, aber auch eine mehrjährige Freundschaft zu den FCK-Fans entstand. „In Meppen war es weniger schön, da hatten wir als VfL-Fans schon immer Probleme. Uerdingen am vorletzten Spieltag war dafür ein Knüller.“ Zu den schönsten Begegnungen rechnet Schukowski die Duelle mit Carl Zeiss Jena, wo die VfL-Fans im Hinspiel gratis mit Thüringer Bratwurst verköstigt wurden. „Dafür haben wir uns am Elsterweg dann erkenntlich gezeigt und original Niedersächsische Erbsensuppe serviert.“ Ohnehin war der drollige Clubname „Schlemmerbrüder“ im Aufstiegsjahr durchaus wörtlich zu nehmen. Denn die zünftige Mahlzeit unterwegs zählte zum festen Ritual: „Fast immer haben wir auf einem Rastplatz gehalten, unsere Klappmöbel rausgeholt und selbstgemachte Gulaschsuppe gegessen.“

Hertha-Spiel fast verpasst

Die aktuellen Fanbeauftragten des VfL Wolfsburg posieren in der VfL Arena für ein Foto.Auch die ersten Bundesliga-Bustouren der „Schlemmerbrüder“ leierte Schukowski noch an – dann wechselte er die Seiten. „Es wurde ein Nachfolger für Siegmar Kohl gesucht, der sich neben allem anderen zehn Jahre lang auch um die Fans gekümmert hatte. Als Peter Pander auf mich zukam, habe ich mich riesig gefreut.“ Am 20. Oktober 1997 begann Schukowski bei den Wölfen seinen Dienst. Das große Jubiläum feiern er und der VfL Wolfsburg also gemeinsam. Anders als seine heutigen Mitstreiter hat der gelernte Bäcker und jetzige Logistiker seine Arbeit stets halbtags erledigt. Deshalb kam es auch, dass mit Holger Ballwanz einer seiner alten Helden sein direkter Arbeitskollege wurde. „Das hätte ich mir natürlich nie träumen lassen. Wirklich sehr kurios, zumal Balli im Aufstiegsteam sogar einer meiner Lieblingsspieler war.“ Dass er sämtliche Partien 1996/1997 gesehen hat, empfindet der gebürtige Neudorf-Platendorfer angesichts der vielen hundert VfL-Spiele seines Lebens nicht als besonders. Einmal war es im letzten Zweitligajahr bei ihm aber knapp. „Ausgerechnet auf der Fahrt nach Berlin, einer der kürzesten Strecken, hatten wir eine Panne. Zwei Minuten vor Anpfiff aber kamen wir doch noch im Stadion an. Das sind so Momente, die man auch 20 Jahre später noch vor Augen hat“, sagt Schukowski. „Und natürlich die Feier zum Aufstieg.“