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Kapitän über Bord

Dank einer überragenden Defensive starteten die Wölfe 1997 besten Mutes in die Rückserie. Dann riss dem Abwehrboss das Kreuzband.

Wer sie mit eigenen Augen gesehen hat, der gerät noch heute ins Schwärmen: Helmut Bräutigam im Tor, Läufer Heinz „Schampel“ Hofbauer zwischen den Strafräumen und Günther Litzenberg, das VfL-Urgestein, als unantastbarer Chef im Ring. Die Altstars der goldenen Oberliga-Jahre wussten den Wölfe-Fans auch im Spieljahr 1959/1960 noch zu gefallen. Die 27 Gegentore aus jener Saison – noch immer ein Bestwert in der Vereinshistorie – zu unterbieten, schienen Uwe Zimmermann, Peter Kleeschätzky und Co. im Jahr Erstligarückkehr auf dem allerbesten Weg. Dann aber drohte ein Trainingsunfall das Abwehrbollwerk zu sprengen. Die Knieverletzung von Kapitän Matthias Maucksch wurde im zweiten Saisonabschnitt zur härtesten Prüfung für das Aufstiegsprojekt.

Anders als die Anderen

Erst auf den letzten Metern sei der Bundesliga-Einzug für sie wirklich greifbar geworden, so geben es die meisten 97er-Wölfe zu Protokoll. Bei Maucksch verhält es sich anders. Der Sachse war seinerzeit einer der Ersten, die das Wort Aufstieg öffentlich in den Mund nehmen mochten. „Ich will in die erste Liga – und zwar mit dem VfL Wolfsburg“, ließ er schon Ende 1996 unverblümt wissen, als Gerüchte um einen Wechsel nach Leipzig kursierten. Mit den Grün-Weißen hatte Maucksch damals einiges vor. „Ich war im Jahr des Pokalfinals nach Wolfsburg gekommen. Entsprechend groß meine Erwartungshaltung, mit dem VfL etwas zu erreichen. Als wir uns nach dem enttäuschenden ersten Jahr so schnell wieder festigten, habe ich deshalb früh daran geglaubt, dass wir es schaffen können.“

Neuer Abwehrbeton

Garant dafür war der Mannschaftsteil seiner Zuständigkeit. Denn im Unterschied zum vorherigen Jahr, als vorne wie hinten nichts zusammengelaufen war, hielten in der Defensive die Schotten nun eindrucksvoll dicht. „Wir hatten uns vorgenommen, erst mal kompakt zu stehen und uns darüber wieder Selbstvertrauen zu holen. Das war eine Lehre aus der Vorsaison.“ Maucksch, der 1995 als bereits gestandener Bundesliga-Spieler aus Dresden an den Elsterweg gekommen war, bekleidete seit dem Sommer als Nachfolger Siggi Reichs das Kapitänsamt. Die Schlüsselrolle, die Trainer Willi Reimann ihm zugedacht hatte, erfüllte er mit Bravour. An seinem Verbund mit Zimmermann, Jann Jensen und Zoran Tomic rieben sich die Gegner regelmäßig ergebnislos ab. In neun von 17 Spielen der Hinrunde hielt die grün-weiße Null, ganze elf Gegentreffer waren es insgesamt. Auf die mit Abstand meisten VfL-Einsatzminuten kam zur Winterpause Führungsspieler Maucksch.

Unfall zwischen Köln und Berlin

Hochmotiviert machten sich die Wölfe nach Weihnachten wieder ans Werk. Die Stimmung im Trainingslager an der Algarve, wo Grün-Weiß zum vierten Mal in Folge campierte, war prächtig. Reimann hob sogar die Null-Promille-Grenze auf; ein Bier vorm Schlafengehen war ausnahmsweise erlaubt. „Wir waren richtig gut drauf und wollten uns unbedingt in der Spitze behaupten, haben das erste Spiel gegen Fortuna Köln auch gleich sicher gewonnen“, erinnert sich Maucksch, der bei diesem 2:1-Auftaktsieg am 22. Februar 1997 nichtsahnend sein letztes VfL-Spiel bestritt: Wenige Einheiten später, vier Tage vor dem Montagsspiel bei Hertha BSC, riss er sich im Training das Kreuzband, fiel für den Rest des der gesamten Jubelsaison somit aus. „Es war wirklich bitter. Mit solch einer Diagnose muss man erst mal klarkommen. Das war mit Abstand die schwerste Verletzung meiner Karriere.“

Eigentlich nicht zu ersetzen

Zu verkraften hatte den Unfall nicht nur Maucksch persönlich, für das ganze Team war sein Ausfall ein Schlag ins Kontor. Im mit spitzem Bleistift geplanten Kader waren Dauerverletzte nicht einkalkuliert. Mit dem charismatischen Maucksch fiel zudem nicht nur der Abwehrboss aus, als Elfmeterschütze vom Dienst war der Libero auch ein wichtiger Faktor fürs unterversorgte Offensivspiel gewesen. Gerade als die Wölfe richtig durchstarten wollten, sank die Stimmung am Elsterweg in den Minusbereich. „Schon der Donnerstag war zum Kotzen. Als die niederschmetternde Diagnose feststand, fühlte ich mich wieder schlecht“, sagte Jens Keller, der in den unglücklichen Trainings-Zweikampf involviert gewesen war und sich große Vorwürfe machte. Ganz pragmatisch gab sich derweil der Chefcoach. „Eine absolute Schwächung. Aber so leid es mir für Matthias tut – wir müssen damit fertigwerden“, so Reimann. Doch auf Anhieb gestopft bekam er das Loch keineswegs.

Jeder darf mal ran

Eine langwierige Suche nach dem optimalen Ersatz begann. Woche für Woche setzte Reimann auf einen anderen Letzten Mann, weil er entweder nicht überzeugt war oder verschärfte Bedingungen ihn zur erneuten Umplanung zwangen. So flog Tomcic, der in der Hauptstadt als Libero aushalf, gleich mit Gelb-Rot vom Platz. Als alles mit Jensen oder Keller als erste Nachrücker rechnete, lief gegen Gütersloh überraschend Detlev Dammeier ein, dem gegen Leipzig wiederum Keller folgte. Als dieser sich verletzte und sogar operiert werden musste, rückte mit Jensen gegen Oldenburg Rückrunden-Libero Nummer fünf auf den Plan. Fast logisch, dass in dieser Phase die Punktausbeute ins Stocken geriet. Obwohl auch ständige Gelb-Sperren die Lage zusätzlich erschwerten, hörte man aber kaum jemanden über den Personalnotstand klagen. „Wir müssen uns an die eigene Nase fassen“, sagte Reimann immer wieder und vertraute statt dessen auf die Faktoren Zusammenhalt und Moral. Mit Erfolg: Pünktlich zum Saisonendspurt kehrte Keller zurück, feierte beim 4:1 gegen Frankfurt ein überragendes Comeback und wurde zum stellvertretenden Aufstiegslibero. Mit 29 Gegentoren blieb die grün-weiße Abwehr, in der Endabrechnung die drittstärkste der Liga, immer noch das Prunkstück.

Aufstieg am Geburtstag

All das verfolgte der verhinderte Aufstiegskapitän intensiv mit. Nach ausgeräumten Irritationen zwischen ihm und dem Verein um Ort und Fahrplan seiner Genesung ließ sich Maucksch die heiße Saisonphase nicht entgehen. Vor allem nicht das Finale gegen Mainz. „Es war einerseits hart, auf der Tribüne zu sitzen. Andererseits ein tolles Erlebnis, das unvergessen bleibt, zumal ich am 11. Juni auch noch Geburtstag habe“, so der 47-Jährige, der den VfL nach der Saison dann doch in Richtung Leipzig verließ und 1998 noch einmal mit dem 1. FC Nürnberg in der Bundesliga vorstellig wurde. Aktuell steht Maucksch als Cheftrainer beim Nordost-Regionalligisten FSV Union Fürstenwalde unter Vertrag. Ob er ohne den Kreuzbandriss damals länger ein Wolf geblieben wäre? „Das ist natürlich ziemlich müßig. Aber wenn ich darüber nachdenke, dann gehe ich eigentlich schon davon aus.“

Irgendwie doch ein Rekord

Anders als die 97er-Truppe übrigens schrammten die Wölfe von 1960 am großen Ziel vorbei: In der Endabrechnung der Amateur-Oberliga Niedersachsen-Ost reichte es hinter Leu Braunschweig und Arminia Hannover nur für Platz drei, die Aufstiegsrunde um die direkte Rückkehr in die Oberliga Nord verpasste Grün-Weiß damit knapp. Und auch das Bild der bis heute stärksten VfL-Defensive hängt ein klein wenig schief. Denn da in der damals zweithöchsten Spielklasse nur 17 Mannschaften aktiv waren, kassierte die Elf von Imre Farkaszinsky ihre 27 Gegentore auch in lediglich 32 Partien.